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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Paraguay nach dem kalten Putsch
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
05.09.12     A+ | a-
Es ist nicht leicht, Neues über Paraguay nach dem Rauswurf seines Präsidenten zu erfahren.
Die internationale Presse hat mit ihren Berichten über die „Amtsenthebung“ von Fernando Lugo im Juni des Jahres erst einmal ihr Soll erfüllt. Das war ein gewisser Hype, aber wie es  nun weiter geht in diesem Land, ist nur für die chronisch an Paraguay Interessierten von Belang.
Darüber möchte ich mit Hilfe paraguayischer Freunde ein wenig berichten.
Fangen wir damit an, inwieweit dieser erzwungene Regierungswechsel die paraguayischen Partner unserer Initiative und unsere Projekte betrifft. Hat sich da überhaupt etwas verändert?

Unser Kinderhort im Großmarkt macht wie immer seine Arbeit, die Beschäftigung  der ErzieherInnen bleibt offensichtlich unberührt von der sonst üblichen Bedeutung der Parteizugehörigkeit. In diesem Jahr sollte man am besten zu den Liberalen gehören, diese Partei hat schließlich am meisten von dem „Regierungswechsel“ (die Tasten biegen sich bei dem Wort) profitiert, der Liberale Federico Franco ist Präsident.
Das Geld von PPI und Kindermissionswerk für den Unterhalt des Hortes aus Alemania fließt ja schließlich weiter, der Finanzrahmen ist in diesem Jahr sogar zum ersten Mal ausreichend bis zufriedenstellend. Alles zusammen erfreulich, wir hoffen, dass es trotz der schlechten politischen Großwetterlage so bleibt!

Die Kinderstation unseres Partner-Hospitals Barrio Obrero hat niemals einen so dringenden Bedarf an Medikamenten angemeldet wie in diesem Jahr. Die Gesundheit ihrer Bürger ist der neuen Regierung ganz offensichtlich nicht so viel wert, wie ihr, in steigendem Maße, unter der Lugo-Administration zukam. Ob z. B. die kostenlose Behandlung für alle Paraguayer  bleibt, ist fraglich.
Unsere Partnerärzte im Hospital klagen auch über große Engpässe bei der Unterbringung der kleinen Patienten, Abhilfe ist nicht in Sicht.
Besonders groß war die Sorge, ob angesichts der neuen Gesundheitsbürokratie unsere im August 2012 versandte Medikamentenlieferung von 4000 Euro die Kinderstation sicher erreicht.
Das war Gott sei Dank der Fall, aber nur mit den alten Methoden der Schmiergeldzahlung, und weil im Hospital ein wichtiger Verwandter eines ebenso wichtigen Zollmenschen die „Amigovariante“ möglich machte  -  wie gehabt.
Die unter Präsident Lugo doch spürbar bessere Gesundheitspolitik  -  mit einer fähigen Ministerin, die natürlich von den neuen Machthabern unverzüglich gefeuert wurde  -  scheint auf ihren Stand auf die Zeit vor Lugo zurück zu streben.

Das  Projekt der Jugendwerkstatt in Pilar stagniert  -  und das ist noch der mildeste Ausdruck. Bis zur Wende rückwärts am 15. Juni schien alles klar:
Der größte Teil der Holz – und Metallwerkstatt war fertig gestellt, der Container mit all den wertvollen Materialien war angekommen, und die Bezirksregierung in Pilar hatte die Bezahlung von drei Ausbildern übernommen.
Doch dann kam der Putsch, und der traf auch unser Projekt. Neue Regierung, neue Leute in die Ämter!
                                                                       
So auch in Pilar, wo man alle Zusagen der Vorgänger bezüglich des Projekts kassierte. Schließlich waren staatliche Zuwendungen in Paraguay immer an Wohlwollen und Wohlverhalten gekoppelt. Und jetzt wieder!
Über den komplett neuen Antrag unserer Partner auf ihr/unser Werkstattprojekt ist noch nicht entschieden, ob überhaupt und wann ist ungewiss.
Übrigens muss der Fairness wegen gesagt werden, dass die Auslieferung unseres Containers zwar mit lästigen bürokratischen Verzögerungen verbunden war, aber das Verfahren ungewohnt korrekt ablief. (Der von Lugo eingesetzte Zolldirektor ging so sauber vor, dass er um sein Leben bangen musste. Natürlich ist er von „den Neuen“ sofort abserviert worden, er hätte in deren „neuen alten“ System nicht lange überlebt).
Die Landwirtschaftsschule in Juan de Mena, unser ältestes Projekt, bekommt seit Juni kein Geld mehr  -  einfach so. Die Schule kämpft um´s Überleben.
Ob die neue Regierung mit der Zuckerfabrik, die wir mit den Partnern gebaut haben, gnädiger umgeht, ist die Frage, im Moment wird  noch produziert.
Den Liberalen als neuen Machthabern gefällt die ganze Richtung nicht, die Schule ist für sie wohl eher eine sozialistische Kaderschmiede, und die Kooperative, die auch die Fabrik betreibt, halten sie wohl für eine Veranstaltung zur Aufhetzung von Campesinos .....
Ironie der Geschichte: Derselbe Minister Dirk Niebel, dessen Ministerium uns viel Geld sowohl für den Bau der Schule als auch der Fabrik genehmigt hatte, war der erste, der in unverantwortlicher Weise dem dubios an die Macht gekommenen Präsidenten Franco seine Anerkennung aussprach. Man sollte Herrn Niebel mal nach Juan de Mena einladen, damit er sich anhören kann, was der von ihm Geadelte anrichtet.
Unser Partner Pater Oliva sieht das Land und seine ersten demokratischen Gehversuche unter Präsident Lugo jäh unterbrochen, er kritisiert präzise und scharfzüngig, hat aber nicht seinen Optimismus verloren.
Wir machen im Folgenden reichliche Anleihen bei seinen an uns gerichteten Schreiben.
Und bei denen des argentinischen Soziologen und Journalisten Atilio Borón.

Partner Dr. Martín Almada, Folteropfer der Stroessnerdiktatur, erlebt unter der neuen Regierung alte Ängste, die sich in den vier Jahren der Lugo-Ära doch weitgehend beruhigt hatten.
“Die Angst ist die zweite Haut der Paraguayer“:
Diese Charakterisierung eines Martín Almada galt während langer Jahrzehnte des Stroessnerregimes.
Zumindest ein Teil dieser Angst ist zurück gekehrt in ein Land, das kaum die ersten Jahre einer quälend langsamen Demokratisierung hinter sich gebracht hat.
Zuletzt während vier der regulären fünf Jahre Amtszeit des 2008 von der Mehrheit des Volkes demokratisch gewählten Präsidenten Fernando Lugo, dem seine Widersacher das letzte Jahr seiner Regierung in einem mehr als zweifelhaften Amtsenthebungsverfahren gestohlen haben.
In einer Art „parlamentarischer Putsch“ wurde da ja nur vollendet, worauf Paraguays Rechte schon lange gewartet hatte: Bei der nächstbesten Gelegenheit und unter dem nächstbesten Vorwand diesen Präsidenten aus dem Amt  zu jagen.
„Sein“ Kongress, „demokratische“ Institution eines kapitalistischen Staates, setzt ihn an die Luft in einem politischen Verfahren, das einem Schmierentheater gleicht.
Hatte Lugo die unerbittliche Konsequenz des Systems nicht gekannt?
 „Schlechte Amtsführung“ und die politische Verantwortung für das Massaker in der Nähe des Ortes Curuguaty wurden ihm u. a. vorgeworfen (siehe unseren letzten Newsletter).
Lächerlich der erste Vorwurf, geradezu ungeheuerlich der zweite: Die Morde von Curuguaty sind bis heute nicht nur ungesühnt, die neue Regierung hat aus ersichtlich gutem Grund keine Initiative zu deren Aufklärung eingeleitet!
Doch auch Schwächen und Versagen des ehemaligen Bischofs im Präsidentenamt Fernando Lugo sind zu benennen:
So vermochte er es nicht, die heterogene Masse aus den sozialen Bewegungen, die ihm ins Amt verholfen hatte, zu konsolidieren. Mit weniger als einer Handvoll ihm wohl gesonnener Senatoren konnte aus seinem Regierungsgeschäft nicht wirklich etwas werden, nur ein enormer Mobilisierungsschub auf den Straßen und Plätzen des Landes hätten seine Regierungsführung stützen oder gar sichern können.
Stattdessen aber ergingen im Laufe seiner Amtszeit immer mehr Zugeständnisse an eine Rechte, die auch bei noch mehr Streicheleinheiten seine Präsidentschaft niemals als legitim angesehen hätten.
       
Für sie blieb er auch dann noch der lästige Eindringling, als er die Antiterrorgesetze  -  statt sie zurück zu weisen  -  durch Südamerikas korruptesten Kongress brachte.
Auf Wunsch „der Botschaft“  -  natürlich!
 („Die Botschaft“, das meint in  Paraguay die Vertretung der USA!
Paraguays Rechte war immer gut zu Fuß mit den Amerikanern, zum Beispiel um Venezuelas Beitritt zum südamerikanischen Mercosur, dem gemeinsamen Markt, zu verhindern.
Ironie der Geschichte: Paraguays einhellige Ausladung aus einer Sitzung dieses Gremiums durch die südamerikanische Staatenfamilie aufgrund des Vorgehens gegen seinen Präsidenten verhalf Venezuela zur Mitgliedschaft. Paraguays chronisches Veto, selbst unter Lugo, fehlte dieses Mal bei der Aufnahme des „Schmuddelkindes“.)

Bei aller Erbitterung über den gerade erst erlebten Bruch in ihrer demokratischen Entwicklung bleibt für das paraguayische, aber auch die anderen Völker Südamerikas nur eine Lektion:
Allein die Mobilisierung der eigenen Kräfte und die Organisation der Bevölkerung vermögen eine Regierung zu stützen, die ein Projekt gesellschaftlicher Veränderung voran treiben will  -  und sei es in noch so kleinen Schritten, wie im Falle Paraguay die Regierung Lugo.

Ein Putsch immerhin ohne Blutvergießen  -  oder etwa nicht?
Und die 17 Toten im Vorfeld, am 15. Juni in Curuguaty? Wessen Tote sind das? Wem haben sie genützt? Wer macht weiter Business as usual auf ihren Gräbern?
Dahinter steht die Lobby  -  Lobby? Die Durchpeitscher!  -  einer Ideologie der höchstmöglichen Bereicherung um jeden Preis:
Je mehr umso besser!  Jetzt und in Zukunft!
Eine Gruppe von Polizisten mit einem Räumungsbefehl im Departament Canindeyú an der Grenze zu Brasilien geriet in einen Hinterhalt von Scharfschützen, die verdeckt aus einer Gruppe von Campesinos heraus agierten, die ein Stück Land für ihr Überleben forderten.
Der Befehl zur Räumung ging von einem Amtsrichter und einer Staatsanwältin aus und sollte einen Großgrundbesitzer  und ein illegal angeeignetes Stück Land von 2000 ha „schützen“:
17 Tote waren bekanntlich das Ergebnis, sechs Polizisten und elf Campesinos, dazu Dutzende Schwerverletzte. Der schmutzige Plan schien aufzugehen: Campesinoorganisationen sollten kriminalisiert werden, bis zu extremem Hass. Würden sie dann von ihren Forderungen ablassen und  verschwinden, wäre das Land frei zur exklusiven Nutzung durch das Agro-Business.
Eine langsame, schmerzhafte Entwicklung droht da in Gang zu  kommen, die nun auch tatsächlich mit den neuen Machthabern an Fahrt gewinnt: Immer weniger Campesinos auf Paraguays Land,
ein Anschlag gegen die Ernährungssicherung und –souveränität, gegen die Ernährungskultur des paraguayischen Volkes insgesamt und gegen die immer schon Nahrungsmittel produzierenden Campesinos, die gleichzeitig Bewahrer der Tradition des alten Volkes der Guaraní waren und sind.
In der Folge von Curuguaty erlebte man eine laue Regierung Lugo, zunehmend schwach und ihr Heil gar in einer Rechtsdrift suchend  -  bis es schließlich zum Absetzungsverfahren durch den von der Rechten dominierten Kongress kam.
Ein harter Schlag (in der Wahrnehmung der Hintermänner freilich ein Befreiungsschlag) gegen die Linke war das, gegen die sozialen und Campesinoorganisationen,
die von der Oligarchie der Landbesitzer als Anstifter gewalttätiger Kleinbauern beschuldigt wurden. Dieses Datum wird zu einer Ausweitung des ausbeuterischen Agro-Business´  in der Hand von Multis wie Monsanto führen. Und zu weiterer Verfolgung von Campesinos und dem Verramschen ihres Landes  -                     
und es dient schließlich der Errichtung einer bequemen Plattform für Profiteure und Rechtsparteien im Blick auf deren geplante triumphale Rückkehr an die Regierungsmacht bei den Wahlen 2013.

Federico Franco, ehemals Verbündeter von Fernando Lugo, hat Senatoren und Abgeordnete hinter sich, die ihre eigenen Ínteressen und die der Macht - und Geldeliten des Landes vertreten  -  er hat aber große Teile des Volkes gegen sich, die diesen Bruch der Demokratie vermittels eines „Expressverfahrens“ gegen Lugo auf das schärfste missbilligen und dies in allen Landesteilen lautstark zum Ausdruck bringen. Vieles davon von den Francofreundlichen Tageszeitungen verschwiegen. Auch sie können wieder „Business as usual“ machen. Aldo Zucolillo, Besitzer der mächtigen „ABC Color“, ist per Verwandtschaft mit dem Agrarmulti Monsanto verbandelt.
Als würde der Schaden, den die Gensoja mit ihrem immer höheren Flächenverbrauch und den schlimmen Schädigungen von Mensch und Umwelt durch den massenhaften Monsanto-Pestizideinsatz nicht schon reichen, konnte ABC denn auch schon nach kurzer Amtszeit des neuen Präsidenten berichten, dass ab sofort die freie Einfuhr genmanipulierter Baumwollsaaten gilt. Baumwolle „RR“, Resistente al Roundup, also auch resistent gegenüber dem Monsanto-Herbizidklassiker Roundup.
In einer beispiellosen Denunzierungskampagne wird die fortschrittliche Gesundheitsministerin Esperanza Martínez aus dem Amt geekelt. Sie war es gewesen, die energisch die Schädigungen von Neugeborenen in der Nähe von mit Glyphosat („Roundup“) verseuchten Sojafeldern untersuchen ließ.
Ebenso erging es dem Umweltminister Oscar Rivas. Beide Minister aus der Lugo-Regierung hatten es gewagt, Monsanto zu widersprechen.
Die Transnationalen des Agro-Business zahlen praktisch keine Steuern in Paraguay, Dank der sie protegierenden eisernen Rechten im Kongress.
Und das in dem Land mit der größten sozialen Ungleichheit Südamerikas ´:
85% des Landes in Händen von 2% Besitzender, darunter viele „Brasiguayos“, die aus dem Boden das eben Mögliche heraus holen, im schlechtesten Fall nur mit Land spekulieren. Ihre reinen Exporterzeugnisse bringen kaum einen armen Paraguayer in Lohn und Brot, bis sie in einem vom Agrarmulti Cargill exklusiv und ohne Auflagen gebauten Hafen außer Landes geschafft  -  exportiert  -  werden.
Nach Lugos Rauswurf sind sie obenauf, der Nachfolger Federico  Franco, der sich ins Präsidentenamt gemogelt hat, ist einer von ihnen und wird ihre unglaublichen Privilegien nicht antasten.
Pater Oliva, heller politischer Kopf, ist der Überzeugung, das paraguayische Volk, welches „diesen Staatsstreich von Senatoren und Abgeordneten“ verurteilt, präsentiere den Putschisten die Rechnung bei den nächsten Wahlen. Er ist nicht nur Jesuit, sondern auch chronischer Optimist.

Er zitiert einen „Kollegen“ von Fernando Lugo, den brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto, der über die vier Regierungsjahre sagt: “Eine Wahl ist keine Revolution, es wechseln die Führer, nicht aber der Charakter der Macht noch der des Staates. Auch ändert sich nichts am Kampf der gesellschaftlichen Gruppen untereinander. Daher muss die die Fähigkeit zu regieren inmitten eines Gewirrs von Paradoxien gesichert werden. Wie geht das?
Es gibt zwei Wege: Einmal über Allianzen mit und Zugeständnisse an die Mächtigen im Staat, oder über die Mobilisierung der sozialen Bewegungen und die Verfolgung einer Politik, die zu strukturellen Maßnahmen führt.
Die erste Option ist für den Gewählten verführerischer, endet gleichwohl allzu leicht in der Übernahme der Praktiken des politischen Gegners.
Die zweite Option ist schwieriger, hat aber den Vorteil einer Demokratisierung der Macht und einer Wandlung der sozialen Bewegungen hin zu politischen Subjekten.
Der politische Frühling, den Lateinamerika erlebt, kann sich binnen kurzem in einen langen Winter verwandeln, wenn die progressiven Regierungen nicht die Überzeugung gewinnen, dass es ´ keine Rettung ohne  ein selbstbewusstes und sich organisierendes Volk´ gibt.“

In Paraguay wurde gerade eine Entwicklung, die (allzu) zaghaft in diese Richtung ging, brutal unterbrochen, weil die im Jahr 2008 Abgewählten rücksichtslos ihre parlamentarische Mehrheit nutzten, um den Präsidenten in jener zirkusreifen Veranstaltung abzuservieren. Aber auch die Gewinner von 2008 versagten, weil sie nicht genug taten, um die Menschen einzubinden und zu organisieren.
Und als sie das realisierten, war es zu spät. 

Pater Oliva weiter:
„Der Vertreter der ersteren, der jetzige Präsident  Federico Franco, beklagt sich über die Verurteilung der Art und Weise seiner Machtübernahme durch alle südamerikanischen Staaten. Deren ´Solidarität (mit Lugo) sei ein Angriff auf die paraguayische Souveränität´. Das ist eine Lachnummer, aber gehen wir einmal darauf ein:
Bestimmt meint er nicht die Souveränität des paraguayischen Volkes, das auf der Seite seines legitimen und legal an die Macht gelangten Präsidenten Lugo steht.
   
Franco und seine Parteigänger können sich nur auf die angebliche Souveränität jener kleinen Minderheit von Personen beziehen, die nicht mehr als 2% der Bevölkerung stellen, aber 80% des Landes besitzen. Jene ca. 600 Familien, die das Land beherrschen, Sojabarone, Viehzüchter, Unternehmer, dazu die Mafia der Drogenhändler und Schmuggler, eine Mehrheit von Senatoren und Abgeordneten  -  allesamt damit beschäftigt, ihr Land auszuplündern, sich aber als dessen sorgende Ziehväter gebärden.
Sie haben vergessen, dass es ein paraguayisches Volk gibt, mit seiner kleinen Mittelschicht, vor allem aber seiner Mehrheit von Campesinos, von denen fast die Hälfte in bitterer Armut lebt, mit all den Elenden an den Rändern der Städte.
Für die Mächtigen im Land existieren diese Menschen nicht, sie sind im Grunde überflüssig und man würde sie am besten verschwinden lassen, wenn das nur möglich wäre.
Öffnen wir die Augen und lassen wir uns nicht durch einige wenige täuschen, durch die kommerziellen Radios, durch Presse und Fernsehprogramme, die uns jeden Morgen mit ihren geschönten Berichten überschwemmen.
Wir jedenfalls sind dankbar für die Solidarität unserer lateinamerikanischen Brüder zugunsten der Souveränität des paraguayischen Volkes und gegen den Staatsstreich durch den Kongress.“
So weit Oliva. Der 82jährige Pater ist zornig, nie hat er deutlichere Worte gefunden.

Präsident Federico Franco ist eifrig dabei, die Weichen in Paraguay auf „Zurück in die Zukunft“ zu stellen. So forciert er z. B. die Verhandlungen mit dem kanadischen Aluminium-Multi „Rio Tinto Alcan“ zugunsten des Baus einer riesigen Aluminiumfabrik und rühmt  sich dessen gar als eines seiner Triumphe.
Präsident Lugo hatte das Projekt abgelehnt, weil es genau so zum Schaden Paraguays gereicht wie seinerzeit der Itaipú- (stauwerk)Vertrag .
Stichworte zur geplanten Aluminiumfabrik:
Paraguays Industrie schuf 2010 ca. 30000 direkte Arbeitsplätze und verbrauchte 1,6 Mio Megawatt Energie/Jahr. Rio Tinto Alcan wird lediglich 1200 Arbeitsplätze schaffen, aber fast 10 Mio Megawatt Strom verbrauchen!
Und das zu einem fast geschenkten Tarif (38 US-Dollar/MWh für 20 Jahre), dessen Gesamtvolumen bis 2031 sich auf 1 Milliarde US-Dollar belaufen würde.

Paraguay war schon oft in seiner Geschichte ein Land, welches nahezu von einem einzigen Produkt abhing, wahlweise Tannin, Yerba Mate, Holz, Soja und elektrische Energie  -  mit dem Vertrag mit Rio Tinto Alcan wäre die „Aluminiumrepublik“ angesagt  -  wieder ein Irrweg, auf dem der Staat sich abwendet von einem notwendigen Aufbau einer nationalen Industrie, sich stattdessen in die Hände der Multis begibt.                   
„Faustpfand“ der paraguayischen Vertragsbefürworter ist freilich das reiche Schmiergeldangebot, das bei einem solchen Projekt anfällt. (Im Falle des Itaipú-Stauwerks betrug es einen so exorbitanten Anteil der Gesamtkosten von fast 20 Milliarden US-Dollar, dass man noch heute von den „Itaipú-Baronen“ spricht, eine ganze Klasse der Gesellschaft, die sich gesund gestoßen hat.)

Die „Putschisten“ haben die Menschen im Land (wieder) gespalten, sie (neu) auseinander dividiert.  Vielleicht ist das sogar der größte Schaden, den sie angerichtet haben. Eine so kleine Nation wie Paraguay mit einer gespaltenen Gesellschaft hat keine Chance, seine Lage und sein Ansehen zu verbessern.
Es steht wieder der eine gegen den anderen. Insbesondere „Rechts gegen Links“, da werden die Zeiten der Diktatur wieder wach, als es reichte, „Kommunist“, „links“ oder „Sozialist“ zu  sein
(meist vorgeblich), um die Arbeitsstelle zu verlieren oder im Geheimdienstgebäude zu verschwinden.
Es ist noch nicht so weit, es kann sich aber durchaus dahin entwickeln!
Auf der einen Seite dieser gespaltenen Gesellschaft sind die Verlierer, die sich ein neues, gerechteres Paraguay wünschten, eine Mehrheit, die hinter Lugo stand.
Auf der anderen Seite befinden sich die, die diese Hoffnung auf einen Wandel jäh gebremst haben.  
Sie machen ihr Ding weiter, manipulieren die öffentliche Meinung mit ihren Massenmedien, schmeißen ihnen nicht genehme Angestellte aus ihren Ämtern  -  ohne im mindesten das Arbeitsrecht zu beachten  -   und setzen ihre „Liberalen“ an die Stelle.
Konformität ersetzt wieder Eignung, wer abweicht, fliegt raus!
Die Spaltung der Gesellschaft geht aber noch tiefer. Die Idee einer ersehnten, wenigstens annäherungsweisen Gleichheit ist wieder abhanden gekommen, nicht mehr das verarmte Volk ist der Hauptprotagonist, um den es sich zu kümmern gilt, damit sich seine Lebensumstände verbessern, sondern die produzierende und konsumierende Minderheit steht im Zentrum.
Die unter Lugo eingeführten Beihilfen für die ganz Alten, die kostenlose medizinische Behandlung, der neu eingeführte Basisgesundheitsdienst für Familien  -  schon ist zu hören, solcherlei sei „überflüssig“. Es war weiß Gott wenig genug, was da auf den Weg gebracht worden war in Lugos Amtszeit, aber es war messbar und die Richtung stimmte.
Franco aber möchte auch zeigen, dass er die Armen nicht ganz vergessen hat, er bietet „reichen Landsleuten zu Marktpreisen staatliches Land im Chaco an, so helfen sie denen, die nichts zu essen haben“, so wird er wörtlich in den Zeitungen zitiert.
Soll das seine „Landreform“ sein?! Mit „Geschenken“ der Reichen? Wo bleiben da die Campesinos, die ihren Weg aus der Abhängigkeit selber gehen müssen? Land für die Reichen, damit die nichts Eiligeres zu tun haben als noch mehr Soja anzubauen?
Lugo hat keine Landreform hinbekommen  -  schlimm genug. Aber eine Reform, die diesen Namen verdient, sollte doch wohl eine schlüssige Politik des Staates sein, die neben der Landvergabe sich auch um Straßen, Infrastruktur, Märkte, um Techniker und Kredite kümmert! Eine Politik zum Abbau der schreienden Ungleichheit! Es geht nicht um Geschenke, sondern um Strukturen.
Pater Oliva träumt von einer Überwindung der Mauer, die Paraguays steinreiche Minderheit und die kleine Mittelschicht von denen trennt, die in Armut oder gar im Elend leben. Auch in seinem Land gibt es Leute, die meinen, eine solche Mauer existiere nicht, alle seien gleich oder doch mit gleichen Möglichkeiten ausgestattet. Er warnt davor, sich zu täuschen und bringt zwei kleine Episoden eines „Besuchs an der Mauer“:
Einem berühmten Unternehmer, der Pater Oliva in den Bañados, dem schlimmsten Elendsviertel der Hauptstadt, besuchte, schossen die Tränen in die Augen, als er das Elend sah:
“Verfluchte Armut!“ brach es aus ihm heraus.
Eine andere bedeutende Persönlichkeit, mehrfach in den Kongress gewählt, hatte er zum Mittagessen eingeladen, an das er sich als ein überaus merkwürdiges erinnert. Der Pater aß nämlich allein, seinem Gast war über dem Nudelteller der Appetit vergangen: „Ich kann das nicht essen, das schmeckt mir nicht!“ Wie viele im Lande hatten nicht einmal diesen Teller Nudeln zu essen.

Der Sojakönig Faveiro, ein „Brasiguayo“, also einer der vielen aus Brasilien eingewanderten Neubürger des Landes, trieb jetzt die Arroganz der Mächtigen gegenüber den Habenichtsen auf die Spitze: “Die sogenannten landlosen Campesinos behandelt man am besten wie eine schlampige  Frau, die ja auch nur gehorcht, wenn man sie schlägt.“
Werden solche Leute nach den Wahlen 2013 die Geschicke des Landes (weiter) lenken?
Wolfgang Kunath,  langjähriger Südamerikakorrespondent der Frankfurter Rundschau, ist pessimistisch (oder nur realistisch?):
„Bei den Wahlen 2013 werden wohl nur die traditionellen Rechtsparteien eine Chance haben ....“ Hoffentlich irrt der Mann!
 
Text (teilweise übersetzt/adaptiert) und Fotos:  
Hermann Schmitz


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